Chinas Ausbau von Ultrahochspannungs-Übertragungsleitungen hat globale Konsequenzen

Chinas Ausbau von Ultrahochspannungs-Übertragungsleitungen hat globale Konsequenzen

Thomas Bonschab, 14.10.2021

Meldungen über Chinas Investitionen in die Infrastruktur von 5G-Mobilfunknetzen, künstliche Intelligenz, Ladestationen für Elektrofahrzeuge und Hochgeschwindigkeitsstrecken zwischen Städten werden von der internationalen Presse regelmäßig aufgegriffen. Weniger Aufmerksamkeit hingegen findet Chinas massive Investition in Ultrahochspannungs-Übertragungsleitungen (ultra-high-voltage –UHV). Dabei lässt sich gerade hier erkennen, wie entschlossen China das Thema CO2-Neutralität verfolgt und gleichzeitig globale Infrastruktur mit eigener Technologie prägen will.

China hat sowohl einen Produktions- als auch einen Technologievorsprung im Ausbau von UHV-Leitsystemen und hat eine führende Rolle bei der Ausarbeitung globaler technischer Normen und Richtlinien für diese Leitungen übernommen. Chinas Ultrahochspannungstechnologie ermöglicht die Übertragung von Strom über extrem weite Entfernungen. Die Übertragungsdistanz kann mehr als 5000 Kilometer betragen. Der Stromverlust beträgt bei diesen Distanzen lediglich 1,6 %.

Die teuren und schwierig zu bauenden UHV-Leitungen übertragen Energie zwischen 800 und 1000 Kilovolt Volt, also mit mehr als der doppelten Spannung herkömmlicher Hochspannungsleitungen. Als Hochspannungskabel gelten Kabel mit einer Spannung von bis zu 500 Kilovolt, während Ultrahochspannungskabel – eine chinesische Spezialität – mit einer Spannung von 800 Kilovolt und mehr betrieben werden.

Die Technologie soll Lösungen für zwei Zielsetzungen geben.

Zunächst soll sie das Land in die Lage versetzen, eine Versorgung mit erneuerbaren Energien im Kampf gegen den Klimawandel zu ermöglichen. Bis 2060 will China kohlenstoffneutral sein. Und China ist groß genug, um hier eine vollständig autarke Lösung zu entwickeln. Während der Energiebedarf der Industrien und Städte hauptsächlich im Osten des Landes anfällt, verfügen die Westprovinzen des Landes über einen Überschuss an Energiequellen, vor allem Wind und Sonne. Mit flächendeckenden UHV-Leitungen sollen diese Energien künftig für die Wirtschaftszentren verfügbar gemacht werden.  Damit verbindet China nicht nur ein gigantisches Konjunkturprogramm für die noch immer wirtschaftlich ärmeren Provinzen im Landesinneren, es soll auch die internationale Abhängigkeit gegenüber Zulieferungen fossiler Energien Öl und Gas überflüssig machen. Und das, obgleich nach Schätzungen von Forschern der Stromverbrauch in China bis 2030 um 60 % gegenüber 2020 ansteigen wird.

Zweitens, und wie in vielen anderen Fällen auch, verbindet China mit seinem Vorstoß das Ziel, internationale Normen maßgeblich zu prägen und den Marktanteil der heimischen Unternehmen zu erhöhen. Der Prozess der Standardsetzung in der UHV-Technologie hat Auswirkungen weit über die Grenzen Chinas hinaus. Zwei Faktoren schaffen ein Fenster für chinesische UHV-Technologien, sich international durchzusetzen und de facto zum Standard zu werden. Erstens ist China das einzige Land, das UHV im großen Maßstab einsetzt. Zweitens ist noch kein internationaler UHV-Standard festgesetzt.

Dabei ist China mitnichten ein Nachahmer oder Nachzügler von Technologien aus dem Westen. Transkontinentale, unterseeische Stromautobahnen, die aus erneuerbaren Energien gefüttert werden, sind auch ein Kernanliegen der westlichen Industrienationen. China zeigt den Weg. Eine Vision sieht so aus:

Chinas Global Energy Interconnection Projekt (GEI) zielt darauf ab, ein weltweites Netz von Hochspannungsleitungen zu schaffen, das Strom zwischen den Kontinenten transportieren kann. Wenn dies gelingt, wird die Stromerzeugung in den entlegensten Gebieten – z. B. in Wüsten und in der Arktis – realisierbar. In naher Zukunft wird China voraussichtlich auch Strom direkt nach Europa verkaufen können. Die Global Energy Interconnection Development and Cooperation Organization (GEIDCO) geht schon heute davon aus, dass die Übertragung von Windstrom von China nach Deutschland über UHV-Leitungen 0,12 US-Dollar pro KWh kosten wird – die Hälfte der derzeitigen Kosten für saubere Energie für deutsche Verbraucher.

Trotz aller Hindernisse und der Konkurrenz durch neue Technologien – allen voran der Nutzung von Wasserstoff – werden wahrscheinlich weitere grenzüberschreitende Netze von Hochspannungsleitungen gebaut werden. Ob das nach einem chinesischen Masterplan geschehen wird oder auf Grundlage verschiedener Ansätze, ist noch unklar.

Aus deutscher bzw westlicher Sicht ist dies durchaus ein Grund zur Besorgnis. Wenn China in diesem Bereich ein globales Quasi-Monopol aufbauen kann, ist das vergleichbar mit dem Aufbau eines globalen Finanzsystems. Es schafft andere Abhängigkeiten als durch die Unterbrechung der Ölzufuhr durch die  OPEC oder der Gaszufuhr durch Russland jemals möglich war und ist. China schreibt die DNA der globalen Stromversorgungssysteme, und liefert die Hard- und Software gleich mit. Plötzlich befindet man sich in einem chinesischen Ökosystem.

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