Düstere Wolken über dem EU-Afrika-Gipfel 2022

Düstere Wolken über dem EU-Afrika-Gipfel 2022

von Dirk Kohnert

Eine orientierungslose EU ist konkurrierenden globalen Spielern im Kampf um Afrikas Ressourcen hoffnungslos unterlegen

Im Prinzip treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU und Afrika alle drei Jahre, um die künftige Richtung der Zusammenarbeit zu skizzieren. Der fünfte EU-AU-Gipfel (Abidjan, 29.-30. November 2017) liegt bereits vier Jahre zurück. Das 6. Gipfeltreffen sollte im Oktober 2020 die Partnerschaft zwischen den beiden Blöcken bekräftigen und erneuern. Es wurde jedoch aufgrund der COVID-19-Krise sine die verschoben. Nun soll es Anfang Februar 2022 in Brüssel stattfinden. Wegen der drohenden vierten und fünften Welle der Pandemie wird er aber wohl wieder verschoben oder als Videokonferenz abgehalten werden.

Am 26. Oktober 2021 trafen sich die EU-Außenminister zum zweiten Mal seit Januar 2019 zur Vorbereitung des Gipfels. Die folgenden sechs Hauptthemen standen zur Diskussion:

  1. die Reaktion auf und Erholung von der COVID-19-Pandemie
  2. Widerstandsfähigkeit aufbauen
  3. Investitionen in die digitale und grüne Transformation
  4. Frieden, Sicherheit und Global Governance
  5. Migration und Mobilität
  6. Bildung, Wissenschaft, Technologie und Kompetenzentwicklung

Demgegenüber liegen China und andere Global Player im erneuten globalen Kampf um afrikanische Ressourcen um Nasenlängen vorn. China hatte beispielsweise bereits im Juni 2020 ein eigenes Gipfeltreffen mit afrikanischen Staats- und Regierungschefs abgehalten. Ein weiteres Treffen findet Ende November in Dakar statt.

Ein Indikator für die neue Bedeutung Afrikas im globalen Kampf um seine Ressourcen ist die Vielzahl von Afrika-Gipfeln. Abgesehen vom kommenden EU-Afrika- und den konkurrierenden Post-Brexit UK-Afrika-Gipfel, seien hier als Beispiel die folgenden Gipfeltreffen genannt (Soulé, 2020):

  • China-Afrika COVID-Gipfel vom Juni 2020
  • Peking-Gipfel 2018 des Forums für China-Afrika-Zusammenarbeit
  • Forum für China-Afrika-Zusammenarbeit (FOCAC) 2021
  • Afrika-Frankreich-Gipfel 2020
  • Naher Osten-Afrika-Gipfel 2020
  • Türkei-Afrika-Gipfel 2020
  • Russland-Afrika-Gipfel 2019
  • Russland-Afrika-Gipfel und Wirtschaftsforum 2022

Die afrikanischen Staats- und Regierungschefs nutzten diese Plattformen nicht nur als Gelegenheit zur Imagepflege. Ihre Strategien werden von vier Hauptzielen inspiriert:

  • Einwerbung von Investitionen (FDI)
  • Diversifizierung der Partner, um Abhängigkeit zu verringern
  • Eröffnung eigener wirtschaftspolitischer Handlungsmacht
  • Auflösung der politischen Isolation, durch mehr Sichtbarkeit als globale Akteure, inkl. sozialer Netzwerke (Soulé, 2020).

Die EU-Mitgliedländer, unter sich selbst zerstritten, agieren demgenüber orientierungslos. Sie geraten durch eigenes Verschulden immer mehr ins Hintertreffen. Ursprünglich konzentrierte sich der EU-Afrika Gipfel auf die Neuverhandlung des vor zwanzig Jahren unterzeichneten Cotonou-Abkommens, das im September 2021 auslief. Es regelt die Beziehungen zwischen der EU und den ehemaligen Kolonien der europäischen Führungsmächte (Frankreich und Großbritannien), die heute in der Organisation der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (OACPS, d.h. der ehemaligen AKP-Mitgliedstaaten) mit ihren 79 Mitgliedsländern, darunter 48 afrikanische Staaten, zusammengefasst sind. Die COVID-19-Krise brachte jedoch sowohl die Gipfel-Agenda als auch die Prioritäten beider Partner durcheinander. Selbst ein rechtzeitiger Ersatz des Cotonou-Abkommens ist fraglich.

Tatsächlich ist eine enge Zusammenarbeit der EU mit Afrika angesichts der Migrationspolitik und des zunehmenden wirtschaftlichen und geopolitischen Wettbewerbs mit China, Russland und anderen Akteuren heute von größerer Bedeutung als je zuvor. Dies hat die EU bereits in ihrer Gemeinsamen Strategie mit Afrikas (JAES, 2007) anerkannt. Die Vorstellungen einer Partnerschaft auf Augenhöhe, die für die JAES so zentral war, verblasste aber zur Chimäre angesichts dessen, dass das Verhältnis zwischen Europa und Afrika weiterhin von postkolonialen Beziehungen und Interessen geprägt ist (Kell, Fergus & Alex Vines, 2020).

Der folgende Vorfall ist kennzeichnend dafür, dass die europäischen Verhandlungsführer die Zeichen der Zeit verschlafen haben. Angesichts der Corona-Krise hatten die Staats- und Regierungschefs der EU und der AU sich darauf geeinigt, Anfang Dezember 2020 über eine Videokonferenz zu verhandeln. Aber die afrikanische Seite sagte in letzter Minute wegen „Agenda-Themen“ ab. Dafür waren provokative Bemerkungen zweier französischer medizinischer Experten im Frühjahr 2020 maßgeblich verantwortlich. Letzteres kam im Zusammenhang mit afrikanischen Beschwerden über die aktuelle und historische Behandlung afrikanischer Länder und Beamter, auch in Gesundheitsfragen, zur Sprache. Äußerungen der französischen Experten zu einer möglichen Studie in Afrika über die Auswirkungen eines Tuberkulose-Impfstoffs bei der Bekämpfung des Coronavirus führten zur Empörung über den Verdacht, das Afrikaner auch in Bezug auf Corona-Impfstoff als „Versuchs-Meerschweinchen“ eingesetzt werden könnten (Herszenhorn, 2021).

Mittlerweils neigen so manche Sprecher Afrikas immer mehr dazu, ihre Beziehungen zu den Europäern sukzessive einzuschränken und die EU als bloßen Anbieter von Entwicklungshilfe und Sicherheit gegen den islamischen Terrorismus zu betrachten. Dieser Trend wird noch dadurch verstärkt, dass die neue EU-Afrika-Strategie von den EU-Mitgliedstaaten immer noch nicht gebilligt wurde.

Davon abgesehen, ist die EU-Kommission weiterhin gelähmt durch die Folgen des Ausscheidens Großbritanniens aus der EU sowie durch die Auswirkungen der Corona-Krise. Denn der Brexit hat ungeahnte Folgen auch für die EU-Afrika Beziehungen (Kohnert, 2018; 2019). Angesichts der vollmundigen Visionen des britischen Premierministers Boris Johnson über die angeblich rosige Post-Brexit Zukunft Afrikas und das Wiedererstarken des ‚globalen Britanniens‘, wollen die Afrikaner auch ihre Partnerschaft mit der  EU (ohne Großbritaanien) neu verhandeln. Da liegt es nahe, dass afrikanische Führer mit Kusshand die Schaukelpolitik wieder aufnehmen, die sie bereits in Zeiten des Kalten Krieges so gut nutzten, und sich die Rosinen aus dem Verhandlungskuchen picken.

Obwohl der übergreifende politische Rahmen für die Beziehungen zwischen der EU und Afrika, die Gemeinsame Afrika-EU-Strategie (JAES), auf dem Lissabon-Gipfel 2007 von Vertretern von 53 afrikanischen und 27 europäischen Staaten offiziell verabschiedet wurde und obwohl die Verhandlungsführer am 3. Dezember 2020 eine politische Einigung über ein neues Post-Cotonou-Abkommen erzielten, vermochte die EU die COVID-Krise – anders als China – nicht zu nutzen. Während China zeitnah seinen afrikanischen Partnern mit Impfstoff und Hilfe zur Seite stand, war die EU erst einmal mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Die Afrikanische Union fühlte sich in Stich gelassen und beeilte sich, die Schaffung der afrikanischen kontinentalen Freihandelszone (AfCFTA) voranzutreiben, die es ihr ermöglichen soll, als Block – von Kontinent zu Kontinent – Partnerschaften auf Augenhöhe mit anderen auf der ganzen Welt auszuhandeln.

Fazit

In den internationalen Beziehungen nehmen die Beziehungen zwischen der EU und Afrika aufgrund der gemeinsamen Kolonialgeschichte beider Partner und den daraus resultierenden gemeinsamen Wurzeln von Kultur und Gesellschaft eine einzigartige Position ein, nicht zuletzt hinsichtlich einer gemeinsamen Sprache im Anglophonen und Frankophonen Afrika. Dies ist ein Alleinstellungsmerkmal und ein unschätzbarer Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Global Playern wie China, den USA und Russland. Daher ist der Vergleich des EU-Afrika-Gipfels mit anderen Afrika-Gipfeln von Nicht-EU-Ländern nur von begrenztem Wert.

Andererseits begünstigte die Komplexität der politischen Regimes Afrikas – angesichts des erneuten globalen Kampfes um Afrikas Ressourcen – das politische Kernverhalten, so, wie es als spezifischer Ausdruck afrikanischer Entscheidungsfreiheit in der Weltpolitik wahrgenommen wird, nämlich Forum-Shopping, Regimewechsel und strategische Manipulation von gesellschaftlicher Werte zwecks Einwerbung von Entwicklungshilfe (Suh I, 2020).

Angesichts dessen könnte Afrika, das zunehmend von anderen Partnern umworben wird, seine Beziehungen zur EU sukzessive einschränken und die Europäer als bloßen Anbieter von Hilfe und Sicherheit gegen den islamischen Terrorismus betrachten. Andererseits wird das Potential engerer Beziehungen zwischen der EU und Afrika durch die „Pfadabhängigkeit“ begrenzt, in der beide Partner weitgehend gefangen bleiben (Bossuyt, 2017).

Externe Ereignisse, wie der Brexit und der daraus resultierende EU-Austritt Großbritanniens, das sich jetzt als konkurrierender Akteur in afrikanischen Angelegenheiten etabliert, ebenso wie die Corona-Krise, könnten neue Perspektiven bieten, um aus dieser Falle herauszukommen und „Wege zur Veränderung“ zu finden. Es wäre jedoch unrealistisch zu erwarten, dass diese Änderungen in kurzer Zeit umgesetzt werden, da die neue EU-Afrika-Strategie von den EU-Mitgliedstaaten noch nicht gebilligt wurde und ob das auslaufende Cotonou-Abkommen rechtzeitig ersetzt wird,  ist eine offene Frage.

Literatur

Bossuyt, J. (2017), Can EU-Africa Relations be Deepened? A Political Economy Perspective on Power Relations, Interests and Incentives. Brussels: ecdpm, Briefing Note 97.

Herszenhorn, David M. (2021): Charles Michel: EU-Africa Summit Still up in the Air, Politico, January 5, 2021.

Kell, Fergus und Alex Vines (2020): The Evolution of the Joint Africa- EU Strategy (2007– 2020). In: Haastrup, Toni & Niall Duggan & Luís Mah (eds.): The Routledge handbook of EU-Africa relations, London: Routledge: 105- 120.  

Kohnert, Dirk (2019): Brexit and the Revival of Françafrique. ROAPE-blog. London: Review of African Political Economy (ROAPE), 19 June 2019

Kohnert, Dirk (2018): More Equitable British post-Brexit Africa Relations: Doomed to Fail? Africa Spectrum 53, 2: 119–130

Soulé, Folashade  (2020): ‚Africa+1′ summit diplomacy and the ’new scramble‘ narrative: Recentering African agency. African Affairs, 119, 411: 633-646 

Suh I, Norbert (2020): International Regime Complexity in EU–Africa Relations. The Journal of Territorial and Maritime Studies 7, 2: 27-48 

Dirk Kohnert, ehemaliger stellvertretender Direktor des GIGA-Institute of African Affairs, German Institute for Global and Area Studies, Hamburg.

Ein ausführlicherer Bericht von Dirk Kohnert findet sich hier:

„Dunkle Wolken über dem EU-Afrika Gipfel 2021 angesichts von Brexit und Corona“, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3797283

Weitere Texte zum Thema auf dem Blog Weltneuvermessung

2 Kommentare zu „Düstere Wolken über dem EU-Afrika-Gipfel 2022

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