beschäftigungsorientierte Industriepolitik in Afrika und die Rolle der deutschen Privatwirtschaft

Unterstützung einer beschäftigungsorientierten Industriepolitik in Afrika und die Rolle der deutschen Privatwirtschaft

Thomas Bonschab, Robert Kappel und Theo Rauch

Die deutsche Außen,- Wirtschafts – und Entwicklungspolitik braucht einen Dialog darüber, wie eine entschlossenere Politik in den afrikanischen Partnerländern kann, wenn ein attraktives Gegenmodell zu dem Vorgehen Chinas und den USA entstehen soll. Wie eine solche Politik aussehen kann, dazu bestehen natürlich unterschiedliche und Ansätze. Wir betonen die Notwendigkeit, deutsche Außenwirtschaftsförderung in Afrika effektiver zu gestalten und dafür auch Instrumente einer beschäftigungsorientierten Industriepolitik einzusetzen.

I. Afrikanische Industriepolitik und deren außenwirtschaftliche Absicherung

Begründung der Vorschläge

Die beschäftigungs- und migrationspolitischen Zielsetzungen der neuen BMZ Afrika-Strategie[1] sind begrüßenswert, bedürfen aber differenzierterer und z.T. auch anderer Umsetzungsstrategien.

Dies gilt

  • für die Betonung eines beschäftigungspolitischen Fokus bei der Förderung einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung bei gleichzeitiger Unterstützung afrikanischer Bestrebungen zur Überwindung der postkolonialen Abhängigkeit von Rohstoffexporten und Konsumgüterimporten (S.9 und 13);
  • für die Einschätzung, dass es dazu einer faireren Handelspolitik, konkret einer stärker entwicklungsfördernden Ausgestaltung der EPAs, bedarf (S. 13);
  • der Intention, verstärkt Wege für reguläre Arbeitsmigration nach Deutschland und Europa zu eröffnen (S. 14).

Die in der Afrika-Strategie genannten zu unterstützenden Initiativen gehen in die richtige Richtung, sind aber nicht hinreichend, um der Dringlichkeit und der Größenordnung des Beschäftigungs- und des Migrationsproblems gerecht zu werden. Die in diesem Papier skizzierten Vorschläge sind als Input für Debatten (auch mit Partnerländern und panafrikanischen Institutionen) zur konkreten Ausgestaltung von BMZ-Beiträgen für die Zusammenarbeit in den Bereichen einer beschäftigungsorientierten Wirtschaftspolitik und Migrationspolitik gedacht.

Analyse

Folgende Einschätzungen der Beschäftigungssituation in der Mehrzahl der Länder Afrikas und in den Haupt-Herkunftsländern von Migrant:innen aus Afrika erscheinen wichtig für wirksame beschäftigungs- und migrationspolitische Strategien:

  • Die Mehrzahl der ausländischen Investitionen geht in Rohstoffsektoren, in Bereiche der öffentlichen Infrastruktur und in Handels- und Dienstleistungsaktivitäten. Ihr Netto-Beschäftigungseffekt ist gering, nicht selten negativ. Investitionen in innovative verarbeitende Sektoren lohnen angesichts der globalen Konkurrenzsituation oft nicht. Dies gilt für internationale wie auch für lokale Investoren. Folglich ging mit dem oft beachtlichen Wirtschaftswachstum in Afrika meist kein Beschäftigungswachstum einher.
  • Die EPAs schützen in der Regel zwar bestehende wirtschaftliche Aktivitäten vor Importkonkurrenz (Beispiel Kenias Milchindustrie), nicht aber neue, noch nicht im Land vorhandene gewerbliche Aktivitäten. Sie verfestigen dadurch bestehende Wirtschaftsstrukturen.
  • Dies trägt – zusammen mit der Abwesenheit schlüssiger Industrialisierungspolitiken in den meisten afrikanischen Ländern – dazu bei, dass die vorhandenen Potenziale für zukünftig konkurrenzfähige arbeitsintensive gewerbliche Aktivitäten vor allem im Bereich des Aufbaus binnenmarktorientierter, aber z.T. auch von exportorientierten Wertschöpfungsketten von lokalen, wie auch von ausländischen Investoren ungenutzt bleiben.
  • Beschäftigungswirksamkeit von Investitionen steht tendenziell in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Qualität der Arbeitsplätze. Arbeitsintensive Technologien sind oft eher „sweat jobs“ als „smart jobs“.
  • Eine auf Zuwanderung von Fachkräften beschränkte Förderung legaler Migration nach Europa hat keinen signifikanten Effekt auf die Reduzierung des Migrationsproblems am Mittelmeer. Hierzu bedarf es der Öffnung legaler Zuwanderungswege auch für hierzulande benötigte ungelernte Arbeitskräfte.

Dabei kann davon ausgegangen werden, dass eine Reduzierung des Beschäftigungsproblems zwar einen besonders wichtigen Beitrag zu Migrationsursachenbekämpfung leisten kann. Kurzfristig kann sie aber den Migrationsdruck nicht hinreichend reduzieren.

Fazit: Die in der Afrika-Strategie vorgeschlagenen Maßnahmen der Investitions- und Innovationsförderung sowie fairere Zugangsbedingungen für afrikanische Produkte auf europäischen Märkten sind absehbar nicht hinreichend, um einen signifikanten Beitrag zur Lösung des afrikanischen Beschäftigungsproblems zu leisten.

Strategievorschläge für die Unterstützung einer beschäftigungsorientierten Transformation afrikanischer Ökonomien

Ziel: Beitrag zu einer signifikanten Zunahme von existenzsichernden und produktiven Beschäftigungs- bzw. Existenzmöglichkeiten in Afrika einhergehend mit einer beschäftigungsorientierten Transformation der Wirtschaft auf Basis erweiterter industrieller lokaler Wertschöpfung. Diese Schaffung von Arbeitsplätzen in Afrika soll ergänzt werden durch erweiterte legale Migrationsmöglichkeiten für nicht dort benötigte Arbeitskräfte nach Europa.

Interessen: Dies entspricht dem Interesse afrikanischer Regierungen nach einer Lösung des (oft demokratiegefährdenden!) Beschäftigungsproblems, dem Bedürfnis von Millionen von Arbeitssuchenden, dem Interesse deutscher Investoren nach lukrativeren und sicheren Investitionsmöglichkeiten auch in verarbeitenden Sektoren und auch dem Interesse Europas nach einer Bekämpfung von Migrationsursachen.

Kooperationsbedarf: Die Erreichung des Ziels erfordert einerseits der Initiative der afrikanischen Regierungen sowie der Schaffung förderlicher Investitionsbedingungen (für in- und ausländische Investoren) durch diese. Andererseits bedarf solch eine Initiative, soll diese erfolgversprechend sein, einer einvernehmlich geregelten außenwirtschaftlichen Absicherung sowie Migrationsabkommen. Jegliche nationale Industrie- und Beschäftigungspolitik afrikanischer Regierungen, aber auch jede Strategie zur Förderung deutscher Direktinvestitionen in Afrika bedarf einer gezielten, mit den wichtigen Handelspartnern abgestimmten außenwirtschaftlichen Absicherung für Investitionen. Gleichzeitig erfordern jegliche externe handelspolitische Unterstützung und Absicherung eine schlüssige nationale Politik als verbindlichen Referenzrahmen um nicht ins Leere zu laufen.

Kooperationsfelder

Eine zielführende afrikanische Beschäftigungspolitik in Verbindung mit einer euro-afrikanischen Migrationspolitik erfordert eine Zusammenarbeit auf mehreren Kooperationsebenen. Idealerweise ließen sich diese Maßnahmen zu einem „Beschäftigungs- und Migrationspakt mit Afrika“ bündeln. In Abhängigkeit von der Kooperationsbereitschaft der einzelnen Partnerländer und auch multilateraler Akteure wie AU und EU sind aber auch bilaterale Kooperationen der „Willigen“ im Rahmen von Modellprojekten vorstellbar.

  • Internationale Ebene I: Beschäftigungs- und transformationsorientierte Ausgestaltung von Handels- und Investitionsabkommen

Das BMZ sollte die Initiative ergreifen, die EPAs zwischen EU und afrikanischen Wirtschaftsregionen – unter Berücksichtigung einschlägiger afrikanischer Forderungen – so anzupassen, dass diese einer beschäftigungsorientierten Industrialisierung afrikanischer Partnerstaaten nicht mehr im Wege stehen. Dies erfordert Handelsvereinbarungen basierend auf dem Grundsatz asymmetrischer, temporärer Protektion. Dadurch soll es einerseits afrikanischen Regierungen ermöglicht werden, arbeitsintensiven gewerblichen Aktivitäten mit Perspektive auf zukünftige Konkurrenzfähigkeit eine Chance geben. Andererseits soll der Zugang zu europäischen Märkten durch Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse weiter verbessert werden. Investitionsabkommen sollten nicht nur einen besseren Schutz ausländischer und auch inländischer Investitionen seitens afrikanischer Regierungen gewährleisten, sondern auch sicherstellen, dass nur Investitionen mit einem positiven Netto-Beschäftigungseffekt (also unter Berücksichtigung indirekter Beschäftigungseffekte bei lokalem Gewerbe) und mit Lieferbeziehungen zu lokalen Unternehmen von den Regierungen der Herkunftsländer mit öffentlichen Mitteln gefördert werden. Entscheidend ist hierbei, dass die Verpflichtungen zur Verbesserung des nationalstaatlichen Rahmens (seitens afrikanischer Staaten) und des außenwirtschaftlichen Rahmens (durch EU) aneinandergekoppelt werden.

  • Internationale Ebene II: Migrationsabkommen zur Erweiterung von legalen Möglichkeiten zur Arbeitsmigration

Das BMZ sollte die Initiative zu Verhandlungen mit relevanten afrikanischen Partnerländern ergreifen zur Vereinbarung von Migrationsabkommen mit Fokus auf legale Möglichkeiten der Arbeitsmigration für hierzulande benötigte geringqualifizierte Arbeitskräfte. Dabei sollten zwecks Erhöhung der Zahl der Begünstigten und in Einklang mit afrikanischen Systemen translokaler Existenzsicherung auch Möglichkeiten der temporären Arbeitsmigration insbesondere für junge Menschen ins Auge gefasst werden. Diese Eröffnung legaler Migrationschancen soll einhergehen mit beidseitig abgestimmter Regulierung irregulärer Migration (etwa durch Einbeziehung von Rückführungsmodalitäten). So kann Migration zum allseitigen Vorteil von Migrant:innen, Herkunftsländern und Zielländern gesteuert werden. Solche Migrationsabkommen ergänzen eine afrikanischen Beschäftigungspolitik und sollten idealerweise im Rahmen eines „Beschäftigungs- und Migrationspaktes“ mit den Handels- und Investitionsabkommen abgestimmt werden.

  • Nationale Ebene: Unterstützung von Partnerregierungen bei der Konzipierung nationaler Industrialisierungs- und Beschäftigungspolitiken

Die Initiative sollte hier unbedingt von den afrikanischen Regierungen ausgehen. Das mag als eine Binsenweisheit erscheinen, gilt aber für das neue Feld nationaler Industrialisierungspolitik ganz besonders. Die eigenverantwortliche Gestaltung und Durchführung solcher Politiken und Programme ist Voraussetzung für deren Gelingen. Da aber Industrialisierungs- und Beschäftigungspolitiken unter Berücksichtigung aktueller globaler Marktdynamiken für viele Regierungen ein neues Feld sind, werden derartige Politiken in aller Regel (auch in Europa) nicht ohne fachliche Analysen und Beratungsleistungen entwickelt. Deshalb könnte hier die Unterstützung durch Einbringen von einschlägigem internationalem Know How seitens Internationaler EZ eine Rolle spielen.

  • Supranationale Ebene der AU / afrikanischer Wirtschaftsgemeinschaften: Harmonisierung der nationalen Wirtschaftspolitiken und Interessenvertretung gegenüber externen Partnern

Diese Ebene bildet das Scharnier zwischen nationalen Politiken und deren außenwirtschaftlicher Absicherung. Hierzu hat der AU-Summit on Industrialisation and Economic Diversification wichtige Impulse geliefert, die als Anknüpfungspunkte relevant sind. Die regionalen Organisationen sind einerseits wichtige konsultativ einzubeziehende Akteure als Verhandlungspartner. Andererseits sollten sie bei Bedarf bei der Ausfüllung ihrer neuen Aufgabe einer Koordinierung von beschäftigungsorientierten Industrialisierungs- und Handelspolitiken unterstützt werden.

  • Sub-nationale / lokale Ebene: Stärkung privatwirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure bei der kontextgerechten Nutzung der aus einer neuen Beschäftigungspolitik resultierenden Chancen

Ohne die Initiativen lokaler und internationaler Wirtschaftsakteure werden auch die besten nationalen und außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht beschäftigungswirksam. EZ kann dazu beitragen, den lokalen Privatsektor – Unternehmerinnen und Unternehmer, Verbände, die vielerorts keine Erfahrungen im verarbeitenden Gewerbe und mit internationalen Marktbedingungen haben – bei der Suche nach standortgerechten Investitionsmöglichkeiten zu unterstützen. Hierzu bedarf es einer guten Koordination privatwirtschaftlicher Akteure mit lokaler Politik, Verwaltung, Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen. Entsprechend kann die deutsche EZ potenzielle deutsche mittelständische Privatinvestoren im Rahmen von Private-Public Partnerships bei der Identifizierung geeigneter Investitionsfelder und bei der Suche nach afrikanischen Partnern unterstützen.

Idealerweise sollten die Aktivitäten auf diesen Kooperationsebenen aufeinander abgestimmt sein. In der Realität ist davon auszugehen, dass der Kooperationsbedarf sich flexibel an den Bedarfen unterschiedlicher Partnerregierungen zu orientieren hat. Das aber widerspricht nicht der Notwendigkeit einer konzeptionellen Kohärenz der Unterstützungsleistungen auf den verschiedenen Ebenen.

Priorität sollte der Zusammenarbeit mit Partnerländern gegeben werden, die aus eigenem Antrieb eine beschäftigungsorientierte Industrialisierung anstreben. Solche Vorreiter sind wichtig, damit die Idee einer beschäftigungswirksamen Industrialisierungs-, Außenhandels- und Migrationspolitik an Momentum gewinnt. Dies mag in Widerspruch stehen zu einer Form wertegeleiteter Entwicklungskooperation, die sich primär am Kriterium „Demokratie“ orientiert (z.B. Ruanda, Äthiopien). Hier ist darauf zu verweisen, dass Beschäftigung eine wichtige Voraussetzung für die Realisierung der Menschenrechte auf Nahrung, sauberes Trinkwasser, Erziehung, Gesundheit etc. und damit für Kernelement einer werteorientierten Entwicklungspolitik sein muss. Zudem ist darauf zu verweisen, dass demokratische Regierungen oft aufgrund ihres Versagens, Arbeitsplätze zu schaffen scheitern und durch autoritäre Regierungen abgelöst werden (jüngst Tunesien). Eine glaubwürdige Beschäftigungspolitik sollte folglich als wichtiges Kooperationskriterium einer menschenrechtsorientierten Entwicklungszusammenarbeit gelten.

II. Die Rolle einer effektiveren deutschen Außenwirtschaftsförderung

Armut und Hunger sind weiterhin eine große Herausforderung auf dem afrikanischen Kontinent. die durch den Klimawandel befördert werden. Die großen Migrationsströme verdeutlichen die menschlichen Tragödien, die zudem durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine, die Pandemie und den Klimawandel weiter verschärft werden. Zugleich befindet sich Afrika in einer grundlegenden Transformation, geprägt durch Urbanisierung, einer Neuorientierung der globalen Wertschöpfungsketten, den Aufbau der African Continental Free Trade Area (AfCFTA) und durch die großen Infrastrukturmaßnahmen. Die Veränderungen auf den Arbeitsmärkten haben einen leistungsstarken afrikanischen Mittelstand sowie ansteigende Unternehmensaktivitäten aus den emerging countries mit sich gebracht. Letztere weisen im letzten Jahrzehnt deutlich höhere Wirtschaftsaktivitäten auf als Deutschland.

Indien, China, die Golfstaaten, die Türkei, Japan u.a. sind aus wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Sicht weitaus bedeutender als noch vor zwei Jahrzehnten. Sie haben in die Rohstoffsektoren investiert, zugleich aber haben sie auch die neuen Dynamiken auf dem Kontinent antizipiert: neue Industrialisierungsschübe, Umwandlung der Landwirtschaft, Veränderung der urban-ruralen Beziehungen, Entstehung neuer Großagglomerationen, Aufstieg von Mittelschichten und Entwicklung von innovativen Startup-Unternehmen. Dies geht einher mit Produktivitätswachstum in einigen Sektoren, bspw. in Sonderwirtschaftszonen, in denen sich teilweise kapitalintensive Industrien ansiedeln und zugleich produktivere sowie hochqualifizierte Arbeitskräfte einstellen.

Die deutsche Entwicklungskooperation, Außenwirtschafts- und Außenpolitik hat sich von solchen wirtschaftlichen Perspektiven entfernt und stattdessen auf andere Themen gesetzt (siehe BMZ-Afrikastrategie, bspw. Klima, Gesundheit). Damit droht Deutschland den wirtschaftlichen Anschluss auf dem Kontinent zu verlieren. Dies ist in den letzten Jahren geschehen. So stagnieren deutsche Investitionen auf dem Kontinent, und die deutsche Wirtschaft gerät ins Hintertreffen gegenüber China, den USA, Großbritannien und Frankreich. Dies ist einerseits auch auf die niedrigen Rohstoffinvestitionen zurückzuführen, auf der anderen Seite aber auch, weil die deutsche Wirtschaft die wirtschaftlichen Möglichkeiten auf dem Kontinent noch nicht als bedeutend genug ansieht. Dabei hätten deutsche Unternehmen sogar einen möglichen komparativen Vorteil. Anders als in den genannten Ländern sind deutsche Investitionen weitgehend im Industriesektor angesiedelt.  Sie können Jobs schaffen und die Kooperation zu lokalen Netzwerken vertiefen. Gerade die große Transformation auf dem Kontinent könnte für die deutsche Industrie, für Groß- und Mittelstandsunternehmen, Perspektiven eröffnen, die auch einen Input für afrikanische Länder zur Reduktion der Rohstoffabhängigkeit eröffnen. „Könnte“, macht sie aber nicht. Woran liegt das?

Ein möglicher Erklärungsansatz besteht darin, dass die politische und finanzielle Flankierung eines wirtschaftlichen Engagements deutscher Unternehmen in Afrika noch immer nicht zu sich selbst gefunden hat. Die Instrumente insbesondere der Entwicklungskooperation konzentrieren sich zu sehr auf den Dialog mit Großkonzernen und Verbänden. Dabei ist besonders eine starke Rolle des Mittelstands der Schlüssel zu einer langfristigen Kooperation zwischen deutschen und lokalen Unternehmen. Hat der Mittelstand erst einmal investiert, ist eine schnelle Verlagerung der Produktionsstätte in Nachbarländer sehr viel unwahrscheinlicher als bei Großkonzernen. Davon tragen beide Seiten beide Seiten einen Nutzen. Die Länder des afrikanischen Kontinents würden weit stärker als bislang von einem technologischen Transfer aus einem Industriestaat profitieren. Im Gegenzug würden deutsche Unternehmen von der steigenden Kaufkraft in den urbanen Zentren profitieren können, die lokale Wertschöpfung durch sub-contracting erhöhen helfen und damit die erforderlichen Jobs schaffen. Und zugleich die vielen, in den letzten Jahren entstandenen, innovativen afrikanischen Startups für sich gewinnen.

Instrumente

Sicher, der Versuch, neben der deutschen Großindustrie auch den technologischen Mittelstand stärker für ein Engagement auf dem afrikanischen Kontinent zu gewinnen, ist schon mehrfach unternommen worden und hat nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht. Das kann aber auch nicht wirklich überraschen, da sich die außenpolitischen – sowohl wirtschafts- als auch entwicklungspolitischen – Instrumente im vergangenen Jahrzehnt in die falsche Richtung entwickelt haben. Will man ernsthaft deutsche Wirtschaftsakteure für Investitionen motivieren, muss man sich zunächst in deren Lage versetzen und die Frage stellen, welchen Nutzen die aktuellen Instrumente in der Afrikapolitik für sie haben.

1.           Compact with Africa (CwA): Der liberale Ansatz, makroökonomische Reformen an internationale Finanzierung zu koppeln, dürfte deutsche Unternehmen eher verunsichern als motivieren. Es ist ein Spiel der internationalen Politik, die ihre Gunst gegenüber den afrikanischen Ländern jederzeit geben, aber auch wieder abziehen kann. In einem solchen Umfeld muss der betriebswirtschaftliche Druck schon enorm sein, wenn man langfristige Verpflichtungen gegenüber lokalen Unternehmen und Arbeitskräften eingehen will. Der Ansatz fördert bestenfalls hire and fire, also Investitionen in Niedriglohnsektoren, von denen man sich schnell wieder entbinden kann, wenn die Rahmenbedingungen nicht mehr günstig sind bzw. die Compact-Gemeinschaft ein neues Lieblingsland identifiziert, in das sie die Investitionen lenken will. Langfristige Investitionen, verbunden mit Qualifizierungsprogrammen und einem Technologietransfer, der diesen Namen verdient, bleiben dabei auf der Strecke. Besonders deutsche mittelständische Unternehmen haben den Compact nur in seltenen Einzelfällen als eine Chance für sich wahrgenommen. Überhaupt ist der CwA als eine internationale Kompromisslösung aus den Häusern der westlichen Finanzministerien zu verstehen, dem viele Fachministerien nur wider besseres Wissen zugestimmt haben. Der CwA bietet kein inklusives Modell für mehr Beschäftigung, lokale Wertschöpfung und eine größere Rolle der afrikanischen Unternehmen. Die DNA des CwA signalisiert jedem westlichen wie lokalem Unternehmen, dass keine Stabilität damit verbunden ist, die zu einem wirtschaftlichen Engagement motivieren könnte.

2.           Die deutschen Instrumente des Africanet und AfricaGrow sowie die Hermesbürgschaften könnten zu einem Meilenstein der Kooperation mit afrikanischen Ländern durch deutsche Investitionen werden. Nur haben auch diese Instrumente bislang nicht die erwünschten Erfolge erzielen können. BDI/Bankenverband haben ihre Kritik sehr deutlich formuliert : (1) Es fehlt an einer strategischen Ausrichtung, vor allem in den Bereichen Rohstoffsicherung, Diversifizierung von Lieferketten und Innovationsvorhaben; (2) sie dienen nicht der Erhöhung von Marktanteilen in  Entwicklungs- und Schwellenländern; (3) die Koppelung zwischen Hermesbürgschaften und Entwicklungszusammenarbeit läuft nicht rund; und (4) Kreditvergaben nach dem Referenzzinssatz CIRR (Commercial Interest  Reference Rate) stehen nur in einem begrenzten Umfang und in einer begrenzten Anzahl von Ländern zur Verfügung  Nicht nur Länder wie China zeigen hier mehr staatliche Verbindlichkeiten und ermöglichen dadurch Investitionen in zukunftsweisende Infrastruktur auch in fragilen Ländern. Eine Überprüfung dieser Maßnahmen ist daher dringend angeraten, um einen Schub deutscher Investitionen hervorzurufen.

3.           Die vorhandenen Instrumente gehen nicht nur an der deutschen Industrie vorbei, sie sind oft auch aus Sicht der afrikanischen Partnerländer und deren Industrie irritierend. Antizipiert man stärker als bisher die großen Transformationen auf dem Kontinent, dann sollten folgende Aspekte stärkere Berücksichtigung finden:

–             Deutsche Kooperationsstrategie zugunsten der lokalen Ebenen, damit lokale Unternehmen in der Lage sind, die Möglichkeiten in der Transformation besser wahrnehmen zu können (Agglomerationen; rural-urbane Beziehungen, industrielle Cluster, Sonderwirtschaftszonen). Zwar hat es in den letzten Jahrzehnten immer wieder KMU-Förderung gegeben, aber heute geht es vor allem um die Dynamiken mit höherer Produktivität, so dass der wachsende afrikanische Mittelstand in die Lage versetzt wird, a) Technologietransfer aktiv anzugehen, b) die lokalen Vorteile (Nähe zu den lokalen Märkten, Fühlungsvorteile) besser in Wert zu setzen und c) in Kooperation mit anderen Unternehmen collective efficiency in industrial clusters und Sonderwirtschaftszonen zu erwirken. Eine verstärkte Einbindung in lokale Wertschöpfungsketten stellt einen besonders attraktiven Zugang für höherwertige Produktion mit hoher lokaler Wertschöpfung und Beschäftigung qualifizierter Arbeitskräfte dar.

–             Die Förderung der AfCFTA durch administrative Unterstützung ist sinnvoll, aber vor allem kommt es auf Produktion an: „bringing production and jobs in“. Hilfreich wäre ein Paket von Maßnahmen, die afrikanische KMU sowie deutsch-afrikanische Unternehmenskooperationen in die AFCFTA besser einbinden. Die AfCFTA kann nur dann zum Erfolg für Afrika werden, wenn die afrikanischen Unternehmen in der Lage sind, die Märkte zu bedienen und dadurch Jobs in der Landwirtschaft, verarbeitenden Industrie, Agroindustrie und in den Dienstleistungssektoren schaffen.

–             Die Verstärkung rural-urbaner Kooperation durch Agroindustrien und durch Unterstützung des ländlichen Raumes bekommen durch die großen Sprünge im Verstädterungsprozess eine besonders Bedeutung, gilt es doch die urbane Bevölkerung mit Nahrungsmitteln nachhaltig zu versorgen. Auch hier wären passgenaue Instrumente zur Stärkung deutsch-afrikanischer Unternehmenskooperationen wünschenswert.

Neuorientierung

Will man deutsche Unternehmen ernsthaft stärker in die Kooperation mit afrikanischen Staaten einbeziehen und dauerhaft Arbeitsplätze vor Ort schaffen, wird man also an einigen grundlegenden Veränderungen nicht vorbeikommen. Eine Neuorientierung sollte auf folgenden Ebenen stattfinden:

1.           Akteurslandschaft analysieren: Die Einbindung deutscher Unternehmen in außenwirtschaftliche Prozesse findet in erster Linie über das ministerielle Vorfeld und die wirtschaftlichen Verbände statt. Dieses Vorgehen ist über Jahrzehnte gewachsen, und an dieser Stelle soll auch nicht gegen die Prinzipien der verfassten Wirtschaft argumentiert werden. Aber Hand aufs Herz: Nur wenige Unternehmen fühlen sich in ihren Interessen von IHK, AHK, GIZ und anderen Einrichtungen angemessen vertreten. Es ist sicher nicht der einzige, aber doch einer der wichtigen Gründe, warum die deutsche Afrikapolitik trotz der erheblichen zur Verfügung stehenden Mittel keine nennenswerten Brücken für deutsche Unternehmen nach Afrika aufbauen konnte. Dass Verbände und Vorfeldorganisationen der Ministerien ein wirtschaftsfernes Eigenleben entwickelt haben, ist kein Geheimnis. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn man die Vergabequote z.B. an das Consulting erhöht, das sich längst an die Rahmenbedingungen des Milieus angepasst hat. Hilfreicher wäre es vermutlich, die etablierten Strukturen zumindest partiell zu durchbrechen und nach Wegen zu suchen, wie sich geeignete Akteure aus der Privatwirtschaft regelkonform direkt einbinden lassen. Nicht gegen die etablierten Vorfeldeinrichtungen und Verbände, aber in einer stärkeren Ergänzung.

2.           Afrikastrategien in einen größeren Kontext stellen: Es steht außer Zweifel, dass in vielen afrikanischen Staaten besondere Bedingungen hinsichtlich Sicherheit, Klima oder Regierungsführung bestehen, auf die ein außenwirtschaftliches und entwicklungspolitisches Konzept eingehen muss. Aber die eigentliche Herausforderung, die sich der aktuellen deutschen Außenpolitik stellt, liegt in der Frage, wie sich das Land als Mittelmacht im globalen Kontext präsentieren will. Dieses Profil gilt es sowohl gegenüber den Führungsmächten USA und China zu entwickeln als auch gegenüber anderen Mittelmächten und der Vielzahl der Länder, die weder Führungs- noch Mittelmächte sind. Deutschland hat in dieser Frage in den vergangenen Jahren keine wesentlichen Fortschritte gemacht, so dass auch die turnusgemäß neu aufgelegten Afrikastrategien arbiträr und wie aus der Zeit gefallen wirken. Auch für die deutsche Privatwirtschaft gibt es kein klares Signal, mit welchem Selbstverständnis sie auf den verschiedenen Kontinenten auftreten sollen und welche kontinuierliche Flankierung sie hierfür von der deutschen Politik erwarten können.

3.           Industriepolitik im eigenen Interesse zulassen: Die Diskussion um eine stärkere Wahrnehmung der eigenen Interessen ist glücklicherweise auch in der deutschen und europäischen Außenpolitik angekommen. In Deutschland allerdings in einer fragwürdigen Weise. Die Verfolgung einer werteorientierten Außenpolitik mag innenpolitisch punkten, ist aber nach Außen weder glaubwürdig noch konsistent. Nicht konsistent, weil der Werteansatz gegenüber den Führungsmächten in der Praxis doch oft den wirtschaftlichen Interessen weicht. Nicht glaubwürdig, weil sie in vielen Ländern Afrikas meist als übergriffig und deplatziert wahrgenommen wird. Besonders die Führungsmächte China und USA machen es sich leichter und verbinden eine offene Industriepolitik mit geopolitischen Zielen. Dabei entsteht mehr Wirkung auf dem afrikanischen Kontinent als es Deutschland mit seinen wechselnden Afrikastrategien jemals erreichen könnte. Ließe sich hier ein politischer Weg finden, der deutsche Industrie und Mittelstand dauerhaft in lokale Wertschöpfungsketten einbindet, wäre dies voraussichtlich wie ein Heimspiel gegenüber dem Vorgehen anderer Mächte. Und wohl stärker im deutschen Interesse als die Betonung der eigenen Wertezugehörigkeit.


[1] BMZ-Afrika-Strategie | BMZ

Siehe auch:

Wirtschaftskooperation Afrika- Deutschland: Was wir bedenken sollten – 12 Merkposten – Weltneuvermessung (wordpress.com)

Deutsche Afrikapolitik – angesichts der großen Transformationen nochmal nachjustieren – Weltneuvermessung (wordpress.com)

Triple-Win durch Migrationszentrum in Accra? – Weltneuvermessung (wordpress.com)

Stagnierende Zonen: die afrikanische Beschäftigungskrise – Weltneuvermessung (wordpress.com)

2 Kommentare zu „beschäftigungsorientierte Industriepolitik in Afrika und die Rolle der deutschen Privatwirtschaft

  1. Lieber Herr Kappel,

    in Ihrem Papier steht sehr viel Richtiges. Aber Hand aufs Herz: Die deutsche Afrikapolitik ist derzeit von Ihrem Ansatz meilenwert entfernt. Sie entfernt sich derzeit sogar immer weiter von einem Ansatz, der den Aufbau von Beschäftigung in den afrikanischen Ländern durch eine stärkere Einbindung der deutschen Privatwirtschaft vorsieht.

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  2. Liebe Autoren,

    herzlichen Dank für diesen interessanten Beitrag. Überraschend ist die Aussage zu Beginn: „Folglich ging mit dem oft beachtlichen Wirtschaftswachstum in Afrika meist kein Beschäftigungswachstum einher.“ Deckt sich diese Aussage mit den Fakten?

    Die ILO (2020) schreibt in ihrem Report on Employment in Africa: “From 2000 to 2019, employment grew at an annual rate of between 2.5 and 3 per cent.” Und an anderer Stelle unter Bezugnahme auf die AfDB: „During the period 2000–14, for example, a 1 per cent increase in GDP was associated with only a 0.41 per cent increase in employment, meaning that the employment elasticity of current economic growth is too low to create a meaningful number of jobs (AfDB, 2019).” Die zweite, negative Aussage verleitet die ILO dann dazu von „jobless growth“ zu reden. Dabei belegen die Zahlen das Gegenteil, nämlich dass auch in Afrika Wirtschaftswachstum meist mit Beschäftigungswachstum einher ging. Das beides noch nicht ausreichend war, ist unbestritten.

    Sicherlich wäre es gut, wenn die Beschäftigungselastizität des Wachstums höher als 0,41 wäre. Bei 1 sollte sie allerdings auch nicht liegen, weil dann die niedrige durchschnittliche Arbeitsproduktivität und das völlig unzureichende durchschnittliche Arbeitseinkommen konstant blieben. Benötigt wird beides, mehr Beschäftigung und höhere Produktivität. Das ist allerdings nur zu haben, wenn das prozentuale Wirtschaftswachstum über dem prozentualen Wachstum der Beschäftigung liegt (vielleicht nicht so ausgeprägt, wie dies gegenwärtig in Afrika der Fall sie, siehe ILO oben). Wichtig ist eben auch und gerade die Höhe des Wirtschaftswachstums.

    Die Africa Growth Initiative at Brookings (2021) betont in der Studie Youth Employment in sub-Saharan Africa, dass Afrika im Hinblick auf die Zusammenhänge zwischen Wirtschaftswachstum, struktureller Transformation und Beschäftigung kein Sonderfall ist: „The good news is that, as incomes and level of economic development and transformation improve in sub-Saharan Africa, youth and adult employment outcomes improve. In other words, when countries achieve balanced economic growth and transformation, better employment opportunities follow. SSA outcomes are similar to those found in developing countries in other regions, after controlling for income level; SSA countries are mostly not behind the rest of the world. Employment outcomes tend to be worse in lower-middle-income resource-rich countries because income improvements do not correlate well with development outcomes—either in the labor market or outside of it.”

    Die hier angeführten Studien stützen eine zentrale Aussage Ihres Beitrags: Eine strukturelle Transformation mit dem verarbeitenden Gewerbe als wichtigem Sektor ist von großer Bedeutung für die Beschäftigungsentwicklung in Afrika. Was sie nicht belegen ist, dass mit dem oft beachtlichen Wirtschaftswachstum in Afrika meist kein Beschäftigungswachstum einher ging. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Es bedarf in Zukunft sowohl eines signifikanten Wirtschaftswachstums als auch einer strukturellen Transformation (nicht zuletzt als Voraussetzung für mehr Wachstum), um die Beschäftigungsprobleme der afrikanischen Länder zu lösen.

    Mit besten Grüßen

    Georg Schäfer

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